Max Blaeulich

1952 in Salzburg geboren, Lehre als Großhandelskaufmann, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Salzburg. Tätigkeit als Antiquar und Mitarbeit bei verschiedenen Literaturzeitschriften.

Von 1992 bis 2000 Redaktionsmitglied von Literatur und Kritik. Herausgeber der Reihe Traumreiter im Wieser Verlag. Als bildender Künstler Ausstellungen seit 1980 Oberbank Galerie, Bienala de Arte Contemporala in Iasi (Rumänien 2001), Galerie 5020 Salzburg, Maxkunst Salzburg, Aorta Gallery (Chisinau, Moldawien 2002), Museum der Moderne (Salzburg 2006), Rupertinum (Salzburg 2009) u.a.

Seit 2001 gibt Max Blaeulich bei Tartin editionen die Reihe >unterdurch< heraus, in der bisher Texte von René Char, Marcel Proust, Pierre Reverdy, Leonardo Sciascia, Franz Innerhofer, Elfriede Jelinek und Ilma Rakusa u. a. erschienen sind.


  • Das Bläuliche an sich, ein IrrtumOpen or Close

    Dr. Günther Eisenhuber Lektor

    ". das Bläuliche an sich, ein Irrtum." Ein Plädoyer für Max Blaeulich Wer die Aufgabe übernimmt zu sagen, warum er Max Blaeulich gut findet, wird unversehens zu seinem Verteidiger. Es ist fast so, als wäre jedes Lob ein Bekenntnis, als ginge es darum, eine bizarre Vorliebe zu rechtfertigen, als würde man den Leuten erklären wollen, warum man gerne lebende Insekten isst. Und so ist jede Laudatio auf Max Blaeulich immer auch ein Plädoyer, eine Verteidigungsrede, die notwendigerweise flammend ist, weil die Widerstände gegen seine Literatur, die Wahl seiner Themen und die Drastik der Darstellung, in den allermeisten Fällen nicht auf einem argumentierten und nachvollziehbaren Urteil basieren, sondern auf Geschmäckern. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, ob man darüber streiten kann oder eben nicht, ist schon wieder eine Geschmacksfrage. Man wird jemanden, dem vor lebenden Insekten graust, nicht davon überzeugen können, dass er sie isst. Aber man kann ihn zumindest darauf hinweisen, dass ihm tote Säugetiere offenbar lieber sind.

    Ich gebe jedem Kritiker sofort und bereitwillig zu, dass einem Max Blaeulich viel abverlangt. Er lässt uns nicht nur in den Spiegel schauen, er sagt uns auch noch, wie hässlich wir sind, wie verkommen, wie fadenscheinig alle Bemäntelungen, wie durchscheinend unser ganzes zivilisatorisches Make-up. Wer das als Zumutung empfindet, als etwas, das Literatur nicht zusteht, dem verlangt nicht nach Wahrheit, sondern nach Gnade, nach Schonung, nach Versöhnlichkeit. Er wird das in den Büchern von Max Blaeulich ebenso wenig finden wie Innerlichkeit, Beschaulichkeit und Sentimentalität, ebenso wenig wie Läuterung und Glücksversprechen. Die Literatur von Max Blaeulich ist keine Tagesdecke und kein dekoratives Element einer Wohnlandschaft. Sie ist im Gegenteil eine Sprengladung und Max Blaeulich selbst ist der Sprengmeister. So man diese Art von Literatur, die in ihrer Schonungslosigkeit ohnehin selten ist, und zwar immer schon, weil sie auch dem Autor viel abverlangt, heute nicht überhaupt ignoriert (vorgeblich im Namen des guten Geschmacks), wirft man ihr allzu gerne vor, im Dreck zu wühlen, das Allzumenschliche an allem Menschlichen so genau auszuleuchten, bis der Mensch als das Monster erscheint, das er eben auch ist, eben auch sein kann. In seinem neuen Roman "Stackler oder Die Maschinerie der Nacht" heißt es an einer Stelle: "Europa ist ein von Reinlichkeit regierter Erdteil und seine Bewohner sind Putzmittelbesessene ... Eine reine Rasse ohne Flecken, ein Häutchen ohne Schleim, ein mit Zitrone gewaschener Mittelfinger. Europa ist ein Bordell namens Reinheit." "... ein mit Zitrone gewaschener Mittelfinger ..." - für mich ist das die treffendste Beschreibung eines Großteils dessen, was heute an Literatur erscheint: ein bisschen stochern, aus verschämter Lust, aber nur so tief, dass sich der Dreck wieder abwaschen lässt, und am Ende ist alles wieder frisch, sauber und geglättet. Nichts ist passiert.

    Trotz allem ist Max Blaeulich alles andere als ein Berserker. Die Schonungslosigkeit, die ihm in seinen Büchern eigen ist, kommt gänzlich ohne Verbissenheit aus, ohne Selbstgerechtigkeit und Eiferertum. Der seltene Ernst dieses Unterfangens ist getragen von einer ebenso seltenen Sprachlust und Sinnlichkeit. Max Blaeulich schreibt Brutal-Barock mit einer maßlosen Freude am Sprachspiel, am Wortwitz, an der Groteske. Sein Lachen ist ein "irres Lachen", ein Lachen über den Irrsinn der Welt, der sich oft genug bereitwillig offenbart. Es ist das Lachen über Hitler, es ist das Lachen, das einem im Hals stecken bleibt, das Lachen darüber, dass die größten Tragödien der Geschichte ihre Mitwirkenden zu Operettenfiguren macht, es ist das Lachen als Form des Unglaubens angesichts des Monströsen. Und das Lachen hat bei Max Blaeulich nicht zuletzt auch eine moralische Komponente, es ist, wie Karl Kraus in der Vorrede zu "Die letzten Tage der Menschheit" schreibt, "der Selbstvorwurf eines, der nicht wahnsinnig wurde bei dem Gedanken, mit heilem Hirn die Zeugenschaft dieser Zeitdinge bestanden zu haben".

    Die Zeitdinge, worum geht's? Die Handlung der Romantrilogie setzt an dem Punkt in der Geschichte ein, da die letzten Tage der Menschheit heraufziehen. Vor dem Grossen Krieg und dem Zusammenbruch des kakanischen Weltreichs, machen sich vier allzu gemütliche Österreicher auf, Uganda zu erkunden. Jeder der vier, einer so sehr Graf Bobby wie der andere, skrupellos, verkommen und imbezil, verfolgt dabei seinen eigenen Wahn, mit kolonialistischem Herrenmenschengehabe und der Anmaßung zivilisatorischer und rassischer Überlegenheit gegenüber (Anführungszeichen auf) dem Neger (Anführungszeichen zu). Zwei dieser Neger (ich bleibe hier im Jargon des beschriebenen Milieus wie Max Blaeulich selbst auch) werden als Souvenir dieser Expedition, der sie als Träger gedient haben, nach Europa verschleppt. Der eine wird von seinem Herrn, der aber im Vergleich der Körpergrößen nicht mehr ist als ein Herrchen, kurzerhand "Kilimandscharo zweimeteracht" genannt und für rassenkundliche Forschungen missbraucht; sein Weg wird im ersten Teil der Trilogie verfolgt. Der andere wird von seinem Herrn nach dessen Diener "Gatterbauerzwei" genannt; ihm und der Frage, wie er als vermeintlicher Wilder Europa und den Krieg überlebt, ist der zweite Teil der Trilogie gewidmet. Im Mittelpunkt des dritten Teils schließlich steht der Rassist und Rassenkundler Stackler, einer der Expeditionsreisenden von damals, der nun nach der Machtergreifung Hitlers darauf wartet, dass sein Wahn Wirklichkeit wird.

    Soviel und nicht mehr zum Handlungsrahmen, der von historischen Tatsachen bestimmt wird. Innerhalb dieses Rahmens bewegt sich Max Blaeulich mit seinem Schreiben einen schmalen Grat entlang zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Realismus und Satire, historischem Faktum und unverschämter Erfindung. Karl Kraus liefert für dieses Verfahren das Motto, wenn er schreibt: "Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen ... die grellsten Erfindungen sind Zitate." An dieser Grenze, zwischen Wahnsinn und Wahrheit, liegt die Welt von Max Blaeulich.

    Und weil wir nun schon bei Zitaten sind, möchte ich die Lesung von Max Blaeulich vorwegnehmen, indem ich ihm und ihnen eine Stelle vorlese, die in ihrem Sarkasmus und ihrer Schonungslosigkeit alles enthält, was jedes umständliche Plädoyer erübrigt. Es ist eine Szene aus dem zweiten Teil. Es ist Krieg und Gatterbauerzwei arbeitet in einer Sammelstelle für Bücher, die als Geschenkgaben an die Frontsoldaten verschickt werden sollen. "Der Büchernarr namens Bucevich war klein und etwas dick geraten und trug zuweilen eine Lesebrille aus Horn. Er sortierte schneller als alle anderen, weil er glaubte, es entginge ihm ein wichtiges Buch, wenn er nicht auch die Stapel der anderen Helfer durchsah. Er hasste die Rekruten, die die Bücher mit Mistgabeln in die Halle schaufelten. Abends begutachtete er die zu Paketen gebündelten Bücher, schnürte sie auf, zog eine Broschur, ein Heft heraus, Bücher, die für die kämpfenden Truppen in Südtirol bestimmt waren - was hätten die auch mit Weltende anfangen können oder mit Scheerbarts Luftkrieg. Er zog das Bändchen heraus und schnürte das Paket wieder zu. Oft arbeitete er länger, drei, vier Stunden über die Zeit, um, wie er sagte, "die wichtigen Bücher zu den wichtigen zu legen", die er dann abzweigte und auf geheimnisvollem Weg verschwinden ließ. Alle schüttelten über solchen Bücherwahn den Kopf, über solche "Rettungsaktion", wie er das nannte. (.) Einmal fragte einer der Helfer: "Was ist eigentlich ein wichtiges Buch?" Er fand lange keine Antwort. Diese Frage stürzte Bucevich in arge Verlegenheit, obwohl er doch sonst so rasch zugriff, wenn es sich um ein wichtiges Buch handelte. Natürlich konnte er angeben, was ein teures, seltenes, wichtiges Buch war, (.) aber was ist wirklich ein in diesem totalen und doch naiven Sinn ein wichtiges Buch (.), was ist ein wirklich wichtiges Buch? Bis er vergaß, auf die Bücher zu achten, über die er den Spagat band, auch jene vergaß, die die anderen aufeinander gestapelt hatten, so verstörte ihn die Frage. Er schlichtete geistesabwesend weiter, bis sein Blick zufällig auf ein dickleibiges, zerfleddertes und abgegriffenes Buch fiel, unansehnlich, der Buchblock gebrochen, die Seiten angekritzelt. Er lächelte, hielt das Buch mit beiden Händen, wiegte es darin und sagte schließlich: "Das ist ein wichtiges Buch, vielleicht eines der wichtigsten.""